der Wind im Gesicht, das Geräusch der Kette beim Treten, den Lenker in der Hand, jederzeit bereit zu schalten und zu bremsen. Fahrradfahren ist für viele (gesunde)Menschen eine Selbstverständlichkeit, sei es als Fortbewegungsmittel oder als Sport- und Freizeitbeschäftigung.
Für Menschen mit Behinderung jedoch, bleibt dies oft ein Traum oder eine Erinnerung an frühere Zeiten.
Dabei kann ein Fahrrad auf so viele Arten eine Bereicherung für das Leben und die Gesundheit von Menschen mit gesundheitlicher Beeinträchtigung sein. Und nicht immer ist es unmöglich, auch wenn zunächst so erscheinen mag…..
Nichts geht mehr…
Für diejenigen, die meinen Blog nicht regelmäßig verfolgen, möchte ich kurz meine Ausgangssituation wiederholen: Im Alter von nur 26 Jahren erlitt ich einen schweren Schlaganfall durch eine plötzlich gerissene Halsschlagader (Mediainfarkt nach ACI-Dissektion) mit der Folge einer Halbseitenlähmung links. In einer monatelangen Reha habe ich das Laufen wieder so einigermaßen lernen können, das linke Bein bleibt jedoch schlecht kontrollierbar und der linke Arm ist komplett ohne Funktion.
Damit entfallen logischerweise sehr viele Tätigkeiten, die früher selbstverständlich waren, insbesondere auch die der Fortbewegung mit Auto, Motorrad und eben auch dem Fahrrad; aber auch die meisten sportlichen Betätigungen sind nicht mehr möglich… so kann ich eben nicht mehr laufen/loggen, schwimmen und auch kein normales Fahrrad fahren.
Als Student war ich das tägliche Radfahren gewohnt, ging zusätzlich schwimmen, laufen und sogar regelmäßig ins Fitnessstudio.
Abgesehen davon war es eine große Leidenschaft von mir, alle möglichen Arten von Maschinen und Fortbewegungsmitteln zu steuern, ich liebte mein Auto, fuhr so oft wie möglich Motorrad und dank des außergewöhnlichen Hobbys meine Vaters saß ich sogar öfter mal am Steuerknüppel eines Flugzeugs:

All das war nun vorbei und jede einzelne dieser Tätigkeiten vermisse ich seit nunmehr über 11 Jahren.
Ein Hoffnungsschimmer
Schon vor Jahren hatte mir mein Ergotherapeut von Dreirädern erzählt, mit denen Schwerbehinderte unter Umständen selbständig fahren können. Aber erst 2019 traute ich mich zu dem örtlichen Fahrradhändler, der diese entsprechenden Liegedreiräder anbietet und in meiner Region bekannt dafür ist, diese Räder kreativ und kompetent für alle möglichen Behinderungen anzupassen.
Da ich meinen gelähmten linken Fuß nicht bewegen und kontrollieren kann, war meine größte Sorge, wie man diesen auf dem Pedal befestigen könnte.
Ich erfuhr von 3 bekannten Herstellern von Liegedreirädern, die aber im Grunde alle ähnlich aufgebaut sind: Ein richtiger Sitz , 3 Räder und ein Lenker unter dem Sitz, dessen Griffe also links und rechts nach oben ragen.
Die bekannten Varianten lauten:
- Anthrotech Trike
- Hasebike Kettwiesel
- HP Velotechnik Scorpion
Dies ist keine Werbung, und schon gar keine bezahlte; ich nenne lediglich die einschlägigen Produkte/Liegedreiräder, die der Markt bietet!
Ich durfte spontan das Anthrotech probefahren. Hierzu befestigte der Mitarbeiter 2 spezielle Pedale mit Fersengummi, die die Füße in der Halterung halten. Nach kurzer Einweisung rollte ich tatsächlich vom Hof und strampelte aus eigener Kraft die Straße entlang. Das Gefühl, nach so langer Zeit endlich wieder Fahrrad zu fahren und selbständig über den Asphalt zu zu gleiten,zu bremsen, zu lenken und dabei die Fliehkraft in der müden Hüfte zu spüren…. das war ein Gefühl der Freiheit und Mobilität, welches ich so lange vermisst hatte und mir kamen spontan die Tränen beim Fahren.
Somit war für mich klar: Ich brauche dieses Rad! „Egal wie“, dachte ich zwar, aber natürlich würde das Ziel angesichts des Preises von rund 3000 Euro nur schwer zu erreichen sein als Frührentner.
Ich setzte meine Hoffnung in die Finanzierung durch Sozialhilfeträger oder Krankenkasse, schließlich stellt ein solches Dreirad ein erhebliches Hilfsmittel dar, um mir Mobilität im Nahbereich zu ermöglichen(einkaufen, Arztbesuche, Behördengänge usw.) sowie ein Sportgerät als Mittel zur Gesunderhaltung.
Monatelang setzte ich mich schriftlich mit Sozialamt und Krankenkasse auseinander, schrieb Anträge und Widersprüche, diskutierte am Telefon und hatte zwischendurch sogar Hoffnung auf Erfolg, jedoch letztendlich nur die Erkenntnis, dass Fahrräder jeglicher Art aufgrund der Gesetzeslage schlichtweg nicht übenommen werden können.
Die abschließende Ablehnung und Erklärung erhielt ich telefonisch von einer Mitarbeiterin der Krankenkasse.
Kaum aufgelegt, schaute ich einfach mal, was die Kleinanzeigen so im Angebot hatten. Und siehe da… Jemand verkaufte ein fast neues Anthrotech hier in Hannover, welches nur 3 Monate alt war, kaum 50 Kilometer gefahren für 1000 Euro unter dem Neupreis.
Diese Gelegenheit bekommt man nur einmal und das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Wochenlang grübelte ich über die Finanzierung und entschied mich letztendlich doch für einen Ratenkredit bei der Bank.
Man lebt nur einmal… richtig?!?
Natürlich musste ich das Rad von den Profis noch anpassen lassen, also Pedale zur Fußbefestigung anbauen sowie Bremse und Schaltung nach rechts verlegen. Ich hatte Glück und der Verkäufer brachte mir das Rad direkt zum Fahrradladen, wo mir die Mitarbeiter des Räderwerks (http://www.raederwerk-hannover.de/) alles perfekt anpassten und der kompetente Ingenieur konstruierte eine Pedal für den linken Fuß, in welches ich selbst gut hineinkomme und den Fuß mit Klettband hervorragend befestigen kann:

auch die Kette musste verlängert werden.
An ein solches Gefährt muss man sich erst gewöhnen und sich einfahren, daher war es mir zu gefährlich, gleich als erste Fahrt quer durch die ganze Stadt nach ‚Hause zur Garage zu fahren.
Ich spannte also mal wieder meinen lieben Kumpel Benny ein und wir transportierten das Rad tatsächlich mit der Stadtbahn bis zum Heimathafen Kronsberg 😉



Eine ganz neue Lebensfreude
am nächsten Tag konnte ich es gar nicht erwarten, das Bett zu verlassen und so schnell wie möglich aufs neue Bike zu steigen und die Gegend aus neuer Perspektive zu erkunden.
zunächst wurde das nahegelegene Expogelände besucht und das Messegelände umfahren.
Und was soll ich euch sagen? – Das Gefühl der Freiheit und wieder selbständig mobil zu sein war und ist die größte Freude, die mir seit dem Schlaganfall widerfahren ist. Es tut so unendlich gut, sportlich aktiv zu sein und die frische Luft derart intensiv aufzunehmen. Und natürlich macht es einen riesigen Spaß. Stück für Stück fühlte ich mich sicherer und routinierter und schon am zweiten Tag schaffte ich es zum Maschsee, dem bekannten Stadtsee Hannovers. Dort angekommen musste ich natürlich unbedingt einmal drumherum fahren. Dieser Nachmittag und diese Erfahrung war dann nochmal wieder schöner und intensiver als gedacht. Der Blick auf den See während der Fahrt, das Einreihen in die anderen Radfahrer und Umfahren der Fußgänger( im Sinne von ausweichen, nicht umnieten natürlich) weckte Erinnerungen an längst vergangene Zeiten und brachte ein Gefühl von Normalität und, mir fällt jetzt kein besseres Wort ein, INKLUSION. Denn ich gehörte jetzt zu der aktiven und dynamischen Gesellschaft, die diesen schönen Samstag an einem beliebten Ausflugsziel verbrachten und ich wurde gegrüßt und angelächelt und gehörte einfach irgendwie dazu; Ganz anders als der humpelnde hinkende Mann mit dem schlaff herabhängenden Arm, den die Leute sonst so sehen.
Niemals hätte ich früher gedacht, dass Radfahren so viel Spaß machen kann.
Und somit stand die Entscheidung fest, als ich nach der Seeumrundung wieder am Ausgangspunkt ankam…….: Nochmaaaaaal!!!!!
Ich fuhr also einfach noch einmal um den kompletten Maschsee und erst danach wieder nach Hause. Somit standen am Ende des Tages die satten 30 Kilometer auf der Uhr und ich fühlte mich herrlich. Ich glaube, so ähnlich fühlt sich ein Gefängnisinsasse bei der Entlassung.
(sorry, eigentlich sind die Bilder vertikal, aber hier stimmt technisch etwas nicht)
Nach etwa 2 Wochen wagten wir schon die erste größere Radtour und fuhren zum Benther Berg am Rande des Deister. Hin und zurück waren das insgesamt über 45 Kilometer.


Diese Tour war zwar sehr anstrengend, hat aber unglaublich gut getan.
Mittlerweile versuche ich, täglich zu fahren und auch weitere große Touren sind geplant.
Und auch gesundheitlich bemerke ich jetzt schon den Mehrwert. Ich habe 6 Kilo abgenommen und werde oft angesprochen, ich würde viel frischer aussehen. Außerdem scheint der gelähmte linke Fuß so langsam ein bisschen „aufzuwachen. Die ständige Bewegung durch das Fahrradpedal scheint eine therapeutische Wirkung zu haben und tatsächlich konnte ich eines Tages den ganzen Fuß etwas bewegen. Ich bin nun gespannt und voller Hoffnung, dass das Radfahren über Jahre vielleicht eine so große Wirkung auf den Fuß haben könnte, dass die Fußheber-Funktion wieder möglich wird und somit vielleicht wieder ein völlig normales laufen. drückt mir die Daumen.
Viele weitere Fotos und auch Videos werden noch folgen; verfolgt einfach meine Seite hier oder bei Facebook und Youtube. Oder mir privat bei Instagram unter @AndivomKronsberg